Frischer Wind für "Führung": New.Work.Frame. #1
Mythos "Führung" ... vom Leitwolf zum Sündenbock

Ein CEO kann mit seinem Unternehmen ein hervorragendes Ergebnis erzielen, Lewandowski kann mit Bayern Weltfussballer werden, ein Hund kann sogar die Erde umkreisen, wenn, - ja wenn ein unterstützendes, vielleicht sogar ein perfektes Umsystem dies ermöglicht. Wenn alle beteiligten Elemente so prima, so verlässlich und so aufeinander abgestimmt zusammenspielen, dass dieser herausragende Erfolg möglich ist.
Aber wenn es dieses perfekte Umsystem nicht gibt, - dann wird Lewandowski mit Polen kein Europameister, der Hund bleibt auf dem Boden und der CEO erfolglos.
Wenn der Erfolg in komplexen Situationen also offensichtlich aus einer Leistung des „Gesamten“ entsteht - und nicht durch den Einzelnen schaffbar ist:
- … warum gibt es dann immer noch diese extreme Fokussierung auf „die Führungskraft“?
- Warum werden immer noch überwiegend „Führungskräfte-Entwicklungen“ auf der Basis von „Kompetenz-Modellen“ mit dem Fokus „Einzel-Qualifikationen“ durchgeführt? (z.B. mit dem vielsagenden Namen „Leitwolf-Programm“. (Kein Witz …))
- Weshalb werden Unsummen für Headhunter ausgegeben?
- Weshalb werden immer noch Einzelboni und Prämien gezahlt?
- Warum gibt es immer noch die Entlassungen von einzelnen „Sündenböcken“, obwohl fast allen Beteiligten klar ist, dass dies nur das Symptom beseitigt, nicht aber die Ursache?
Noch mal: Der Erfolg entsteht als Ergebnis gelungener Systemaktion, aber der Fokus fixiert - nicht nur in Unternehmen - den Einzelnen. WARUM?
Erklärung eins: Sehr wahrscheinlich ist die Überhöhung und (Über-) Betonung des Individuums nichts anderes als der Spiegel unseres eigenen Aufmerksamkeitsapparates, - es fällt uns Menschen schlichtweg leichter, in der Menge die/den Einzelne(n) im Auge zu behalten, als das Ganze zu betrachten. Vermutlich würde Gerald Hüther sagen: „unser Gehirn will auch beim Thema Unternehmensführung einfach Energie sparen“.
Aber damit entwickeln wir „Erkenntnisse“, „Methoden“ und „Instrumente“, die am systemischen Charakter von komplexen Aufgabenstellungen (wie z.B. die „Führung von Unternehmen“) schlichtweg vorbeizielen. Wir entwickeln „Pseudo-Lösungen“ (z.B. „Einzel-Boni“), die einen schnellen Fortschritt bei unseren Herausforderungen (z.B. die „verstärkte und unvoreingenommene Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg“) sogar massiv behindern.
Erklärung zwei: Im Grunde unserer romantischen Persönlichkeiten hoffen wir immer noch, dass uns „Erlöser“ oder „Helden“ aus dem Schlamassel holen. Dass wir „die Führungskraft“ finden, die aufgrund genetischer Veranlagung und herausragender individueller Eignung und Entwicklung in der Lage ist, „unsere“ anstehenden Probleme zu lösen.
Und sich dieser Illusion mit viel Ausdauer hinzugeben, legitimiert dann (in Unternehmen, aber auch in der Gesellschaft) kollektive Verantwortungslosigkeit, fehlendes Engagement für das Gemeinwohl … Nichtstun.
Auch wieder: „Energie sparen …“.
Erklärung drei: Oder - falls die Heldin/der Held scheitert - geht die Bestrafung des Sündenbockes viel leichter von der Hand als die Weiterentwicklung des gesamten Systems …
Diese extreme Einzel – Zuweisung von Verantwortung ist übrigens ein wesentlicher Grund dafür, dass es immer weniger Menschen gibt, die sich freiwillig um eine Führungsposition bewerben. (Spiegel, 11/2019)
Lösungsidee: Aber wie wäre es, wenn wir - statt Energie am falschen Ende zu sparen - den „Mythos Führung“ zu den Märchen vergangener Zeiten legen. Statt dessen sollten wir „die Führung von Unternehmen“ systemisch …. - „als SYSTEM“ - verstehen, erfassen und gestalten.
Dazu sollten wir - gemeinsam - neue Haltungen und Perspektiven, Methoden und Werkzeuge entwickeln. Das Konzept “Führung“ muss endlich in die nächste Entwicklungsstufe überführt werden und echte Lösungen liefern, statt viel Geld in der Aufrechterhaltung dysfunktionaler Führungsideale zu vergeuden.
„Führung“ sollte neu verstanden werden als „nicht an Einzelne delegierbare, gemeinsame Verantwortlichkeit und praktische Einflussnahme aller Beteiligten zum Wohle des Ganzen“.
Unsere Aufmerksamkeit könnte dann die gesunde Entwicklung gesamter Systeme und ihrer Teile zum Ziel haben.
Und zum Zwecke der „gemeinsamen Verantwortlichkeit und praktische Einflussnahme aller Beteiligten zum Wohle des Ganzen“ sollten „Führungs-Systeme“ oder „New Work Frames“ - oder wie immer man sie nennen will - entwickelt werden.
Welche in jedem wichtigen Element, bei allen Interaktionen, zwischen jedem Werkzeug und Verhalten darauf abgestimmt sind, den tieferen Zweck des Unternehmens, der Verwaltung … des Systems … zu fördern.
Statt aus Versehen das Gegenteil des Guten voran zu treiben.
In der nächsten Folge der Reihe „New.Work.Frame.“ werden wir darauf eingehen, was die wichtigsten Elemente eines systemischen Führungsansatzes sind.
Andreas Brockow
Hallo Herr Huber,
erst einmal Danke für den interessanten Beitrag, der viel Wahres und Bedenkenswertes enthält!
Aus meiner Erfahrung funktioniert aber eine gemeinsame Verantwortlichkeit nicht besonders gut, wenn kritische Entscheidungen anstehen (zum Wohle des Ganzen - aber nicht unbedingt des Einzelnen). Hier führt m.E. gute Führung zu schnellen und gemeinsam getragenen Entscheidungen.
Ich bin neugierig, wie Sie das systemisch auflösen!
Liebe Grüße
Andreas Brockow
reply
thomas.huber@to-change.de
Hallo Herr Brockow
danke für den Kommentar!
Nach meiner Ansicht sind hierarchische Einzelentscheidungen bei zeitkritischen Notfallentscheidungen vermutlich im (Zeit-) Vorteil. (Ein Passagierzeit im Sinkflug braucht keine Selbststeuerung durch die Passagiere ...)
Aber regelmäßig werden in unseren Workshops durch ein gesamtes Führungsteam im "starken Konsens" (also mit mindestens 80% Zustimmung durch alle Beteiligten) strategische Entscheidungen getroffen, welche sicher nicht für jeden der Anwesenden zu seinem individuellen Vorteil sind.
Aber ein vorausgehender, exzellenter Diskussions-Prozess macht für die allermeisten deutlich, wo (möglicherweise zum Nachteil eines einzelnen aber) zum Wohle des Ganzen die Vorteile einer solchen Entscheidung liegen.
Und dadurch finden selbst unpopuläre Themen fast ausnahmslos eine hohe Zustimmung.
Nachteil = Langsamer.
Vorteil = die Verantwortung bleibt bei den "Vielen",- nicht bei dem "Einzelnen".
Das wäre unser Ansatz, speziell dieses Thema systemisch aufzulösen.
Liebe Grüsse
Thomas Huber
reply