Veränderungsdämmerung

Dr. Diana Astashenko-Huber
02. März 2025

Veränderungsermüdung als Herausforderung für Change Management / die Unternehmensführung

Change Management in Unternehmen ist keine isolierte Disziplin mehr. Es steht im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen und individueller Erfahrungen mit Wandel. Doch was passiert, wenn Menschen nicht mehr die Kraft haben, sich stetig anzupassen? Wir beleuchten das Konzept der Veränderungsermüdung und diskutieren, wie Unternehmen ihr Change Management anpassen müssen, um wirksam und nachhaltig zu bleiben.


Die Theorie der "Veränderungsermüdung" und ihr gesellschaftlicher Kontext

In ihrem Buch Triggerpunkte (2023) beschreiben Linus Westhäuser, Steffen Mau und Thomas Lux ein Phänomen, das in der aktuellen Debatte um soziale, wirtschaftliche und politische Transformationen zunehmend an Bedeutung gewinnt: die Veränderungsermüdung.
Ihre Analyse: Gesellschaftliche Gruppen sind durch die Vielzahl und Geschwindigkeit von Transformationen zunehmend erschöpft. Sie erleben die permanente Infragestellung bisheriger Normen, Werte und Strukturen nicht mehr als Entwicklung, sondern als kräfteraubende Zumutung. Das betrifft nicht nur Debatten um Geschlechterrollen oder Diversität, sondern auch tiefere Fragen sozialer Sicherheiten, wirtschaftlicher Stabilität und technologischer Umbrüche.
Dieser Mechanismus greift auf mehreren Ebenen: Wer sich in seinem Alltag ständig neuen Realitäten anpassen muss, wer erleben muss, dass etablierte Selbstverständlichkeiten verschwinden, reagiert teils mit Widerstand oder Resignation. Diese gesellschaftliche Veränderungsermüdung spiegelt sich in Polarisierungen, Reformmüdigkeit und zunehmender Skepsis gegenüber "denen da oben" wider.

Die Brücke zum Unternehmenskontext: Wenn der Wandel nicht mehr bewältigt wird

Dieses Phänomen betrifft auch Change-Prozesse in Unternehmen, denn die Firmen sind kein isolierter Raum. Die Menschen, die Change-Projekte umsetzen und unterstützen  sollen, sind dieselben, die außerhalb der Organisation bereits durch ständigen Wandel herausgefordert sind. Das bedeutet: Wer in seinem privaten Umfeld schon müde von Veränderungen ist, wer im politischen und gesellschaftlichen Kontext bereits das Gefühl hat, mit Umbrüchen nicht mehr Schritt halten zu können, wird innerhalb der Organisation nicht plötzlich zum enthusiastischen Change-Agent.
Und doch ist das derzeitige Framing von Change Management genau darauf ausgelegt: Veränderung als etwas „Neues“, als „Disruption“ die Kraft kostet, Widerstände erzeugt und durch "gutes Management" überwunden werden muss. Was aber, wenn der Widerstand weniger eine bewusste Ablehnung als vielmehr eine schlichte Erschöpfung ist? Wenn Menschen nicht gegen Change sind, sondern schlicht nicht mehr die Kapazität haben, sich aktiv einzubringen?

Ein neues Framing für Change Management

Wenn Veränderungsermüdung eine reale Herausforderung ist, muss Change Management darauf reagieren. Und wir wollen ausdrücklich betonen: Es geht uns nicht um einen bloße Umetikettierung des Bestehenden! Es geht um eine veränderte Haltung zu und Aufhängung von Change. Und um eine Prozessgestaltung die automatisch dazu führt, dass der viel thematisierte "Umgang mit Widerständen" gar nicht Thema werden kann, weil es ihn nicht gibt. (Lesen Sie dazu auch unseren Blogartikel "Umgang mit Widerstand")
Drei zentrale Anpassungen könnten sein:

  1. Ein neues Framing von Change: Viele Mitarbeitende erleben Change als Dauerstress, weil Veränderung als eine ununterbrochene Abfolge von Krisen präsentiert wird. Anstatt Change als anstrengenden Prozess zu inszenieren, der „on top“ kommt, „außerhalb der Reihe“ läuft, der mit Widerständen kämpft und Kraft kostet, könnte ein neues Framing etabliert werden: Change gehört - als schrittweise Evolution - zum normalen (Führungs-) Alltag, als etwas, das in bestehende Routinen integriert wird, statt diese zu durchbrechen. Statt "Veränderung abverlangen" könnte „Veränderung“ und „Stabilisierung“ als die beiden selbstverständlichen Seiten unseres Unternehmensalltags verstanden und gehandhabt werden. Als natürlicher Bestandteil jeder Arbeit, jedes Prozesses. Inhärent. Nicht „Change“ sondern (Weiter-)Entwicklung.
  2. Lebensweltliche Erfahrungen ernst nehmen: Unternehmen müssen sich bewusster damit auseinandersetzen, dass ihre Mitarbeitenden nicht in einem luftleeren Raum agieren. Die Veränderungsermüdung, die sie außerhalb des Unternehmens erleben, hat großen Einfluss auf ihre Motivation, Offenheit und Energie für interne Change-Prozesse. Ein Change Management, das dies berücksichtigt, würde über diese Erschöpfung nicht einfach drüberbügeln, sondern bewusster mit Veränderungsdynamiken umgehen, Pausen und Reflexionsräume einplanen und Change, als adaptiven, atmenden Vorgang gestalten. Nichts, was „von denen da oben“ verordnet wird, sondern das gemeinsam als das identifiziert und angegangen wird, was „Sinn macht“.
  3. „Micro Wins statt Change-Monster“ – Veränderungen in kleinere, spürbare Erfolge aufteilen
    Veränderungsmüdigkeit entsteht oft, weil Mitarbeitende kein direktes Erfolgserlebnis haben – Change-Prozesse sind zu groß, zu weit weg oder dauern zu lange.
Wenn wir Veränderung so gestalten, dass wir schnelle, konkrete Fortschritte sehen, fühlen und beeinflussen können, begegnen wir dem!
    Wie? Hier erste Ideen:
    ... Große Transformationen in Micro Wins zerlegen – jede Woche oder jeden Monat ein sichtbarer Erfolg, der konkret erlebbar ist. Und BEWUSST gemacht wird. Man muss nicht jeden kleinen Schritt feiern. Aber man muss ihn würdigen!
    ... Mitarbeitende aktiv in den Prozess einbinden, indem sie an kleinen, aber wirksamen Veränderungen mitarbeiten können.
    ... Storytelling nutzen: Statt nur KPI-Dashboards nutzen Unternehmen persönliche Geschichten über positive Effekte des Wandels - Am besten mit kleinen Videosnippets vom eigenen Handy aus aufgenommen.
    💡 Beispiel: Ein Unternehmen, das eine neue Feedbackkultur etablieren will, kann statt einer großen, schwer fassbaren „Kulturtransformation“ zuerst Mini-Experimente machen: Jede Führungskraft gibt zwei Monate lang wöchentlich ein kurzes, positives Feedback. Mitarbeitende merken schnell einen Unterschied und sind offener für die weitere Kulturveränderung.

Implikationen für die Unternehmenskultur

Diese veränderte Herangehensweise an Change Management könnte sich auch auf die Unternehmenskultur auswirken. Anstatt eine Kultur der ständigen Agilität und "Veränderungsbereitschaft" zu propagieren, wäre es zielführend, ein Umfeld zu schaffen, in dem Stabilität und Wandel kein Widerspruch sind.
Unternehmen könnten neue Formen des "Entwicklungs-Dialogs" etablieren, in denen Mitarbeitende nicht nur informiert und beteiligt, sondern in ihrer individuellen Veränderungsresilienz unterstützt werden. Also „Rückenschule“ statt „Selbstoptimierung in der Mucki-Bude“. 
Change darf nicht nur als rein methodisches Phänomen gedacht werden, das „effizient gemanagt“ werden muss, sondern als ein Prozess, der sich in den übergeordneten Wandel von Gesellschaft und Arbeitswelt integriert. Und die Menschen in gleichem Maße berücksichtigt wie die wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Wer Change Management zukunftsfähig gestalten will, muss Change in Unternehmen und Change in der Gesellschaft zusammen denken. Denn in Zukunft werden sich die Unternehmen und Behörden in Deutschland noch auf sehr viel stärkere Anforderungen durch tiefenwirksame Veränderungen einstellen müssen. Und es scheint außerordentlich wichtig zu sein, auch jede Form von Erholungsphase zu nutzen, um die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit unserer Mitarbeitenden zu erhalten.


Call4Action:

Diese ersten Gedanken setzen den Rahmen für eine Diskussion, die aus unserer Sicht dringend geführt werden muss. Wir freuen uns  über Anregungen, Perspektiven und Beispiele, wie Unternehmen heute bereits mit Veränderungsermüdung umgehen!

Dr. Diana Astashenko

Über mich

Dr. Diana Astashenko, Full Stack Consultant. Kennt sich mit dem Frontend (Workshops, Prozessmoderationen, Coachings) ebenso aus wie mit dem Backend (Prozessarchitektur, Workshopdesign, Inhaltliche Weiterentwicklung). Inhaltliche Schwerpunkte: Strategieentwicklung, Strategieumsetzung, Digitale Didaktik und Megatrends. Gelernte Soziologin und Pädagogin. Von Natur aus neugierig auf (fast) alles.
Copyright@2020 - ToChange.de
Alle Rechte Vorbehalten

Kontaktiere Uns

  • +49-(0)941 600 93 003
  • Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
  • Thomas_Huber

ToChange Gmbh

  • Thomas Huber
  • Traubengasse 6
  • D-93059 Regensburg

Browse our Website